Gesundheit und Wohlbefinden im digitalen Zeitalter gestalten: Integration von Systemen, Algorithmen und Daten auf dem Weg zur ‘Human-Centeredness‘
Die Erforschung, wie die Gestaltung von Informationssystemen (IS) zur digitalen Transformation von Gesundheitspraktiken, -organisationen und -branchen beitragen kann, ist ein klassisches Thema, das Forschende in unserem Bereich seit vielen Jahren beschäftigt (Agarwal et al., 2010; Baird et al., 2018; Burton-Jones et al., 2019). Die transformativen Auswirkungen digitaler Technologien auf die Erbringung von Gesundheitsdienstleistungen sind erheblich, da Daten und immer leistungsfähigere Algorithmen Veränderungen in den Rollen von Bürger*innen, Patient*innen, Kliniker*innen, Gesundheitsmanager*innen und Forscher*innen in der Gesundheitsversorgung bewirken (Essén & Värlander, 2019; Jarvenpaa & Essén, 2023; Sunyaev et al., 2024). Im Zentrum all dieser Dynamiken steht eine zentrale Gestaltungsherausforderung: Wie können Systeme, Algorithmen und Daten auf eine menschzentrierte Weise integriert werden (siehe auch Bardhan et al., 2020)?
Sich zu fragen, wie wir menschzentrierte Gesundheitsdienstleistungen gestalten können, ist keine triviale Angelegenheit, da technologische Designs eine Frage sind, eine andere jedoch, wie diese Designs über die Zeit mit Personen, Anbietern, Plattformen und Fachkräften interagieren. Die Bedeutung, diese Interaktionen „richtig“ zu gestalten, ist so offensichtlich, wie es kompliziert ist, Antworten auf diese Frage zu finden (Wessel et al., 2023). „Klassische“ Informationssysteme in Krankenhäusern wie elektronische Patientenakten (Agarwal et al., 2010; Burton-Jones & Volkoff, 2017; Hansen & Baroody, 2020; Oborn et al., 2011) dienen als Datenspeicher, die Fachkräfte bei Entscheidungen unterstützen und potenziell Diagnosen im digitalen Zeitalter verbessern (Lebovitz et al., 2021, 2022). Allerdings sind es nicht nur Krankenhäuser, die sich wandeln, und es sind nicht nur elektronische Patientenakten, die für Transformationen von Bedeutung sind. Viele Menschen spielen mittlerweile eine aktivere Rolle, wenn es darum geht, chronische Erkrankungen selbst zu managen (Dadgar & Joshi, 2018; Wessel et al., 2019), Plattformen zu nutzen, um Ideen auszutauschen, Selbsthilfe zu leisten und Rat zu suchen (Barrett et al., 2016; Fürstenau et al., 2021), sowie KI-basierte Systeme einzusetzen, die helfen, chronische Krankheiten präventiv zu verhindern (Wessel et al., 2023).
Aufbauend auf diesen Entwicklungen gibt es eine zunehmend wichtige Diskussion in der Gesundheitspolitik darüber, wie digitale Technologien genutzt werden können, um Anreize neu zu orientieren und dafür zu sorgen, dass Anbieter*innen von den Outcomes profitieren, anstatt davon, dass die Menge der erbrachten Services maximiert wird (Agarwal et al., 2020; M. Porter, 2010; M. E. Porter & Teisberg, 2006). Schließlich reicht das erneute Interesse von Forscher*innen an der Rolle von Daten für Innovationen in Dienstleistungen, digitalen Tools und Anwendungen (Jarvenpaa & Markus, 2018; Rothe et al., 2019; Thiebes et al., 2020; Vassilakopoulou et al., 2018) weit über die inkrementelle Verbesserung diagnostischer und therapeutischer Werkzeuge hinaus. Die breitere Verfügbarkeit neuer Datentypen wie Single-Cell- oder Multi-Omic-Sequenzierung, dreidimensionale Röntgenaufnahmen und neue MRT-Ansätze ermöglicht den Lebenswissenschaften zunehmend Einblicke in die frühe Krankheitsentwicklung. Neue Gesundheitsanwendungen können daher prospektiv werden und Interventionen bei Bürger*innen vorschlagen bevor diese Personen zu „Patient*innen“ werden. Entscheidend ist dabei, diese Innovationen so zu gestalten, dass sie effektiv in den Alltag der Menschen integriert werden.
Wir stellen unseren Track thematisch breit auf und laden Beiträge ein, die sich mit den oben genannten Themen beschäftigen. Unser Verständnis der Begriffe „Gestalt(ung)“ und „Gestalten“ ist breit gefasst und nicht auf die Anwendung etablierter Ansätze wie Design Science Research (DSR) oder Action Design Research (ADR) beschränkt, die wir selbstverständlich auch einladen. Wir wollen Einreichungen aller Art erhalten, die das Potenzial haben, unser Verständnis der oben genannten Phänomene zu erweitern, sei es in Bezug auf die Bedeutung klassischer IT-Themen im Gesundheitswesen im digitalen Zeitalter oder Fragen zu den transformativen Potenzialen und Auswirkungen digitaler Datenobjekte und digitaler Werkzeuge. Die Arbeiten können sich auf originäre theoriebasierte Forschung, designorientierte Forschung, empirische Studien oder konzeptionelle Arbeiten konzentrieren. Wir sind offen in Bezug auf angewandte Methodologien. Einreichungen können sich mit den folgenden Themen befassen, sind jedoch nicht darauf beschränkt:
- Die sich verändernde Rolle und das Management digitaler Gesundheitsdaten für digitale Innovationen im Bereich Gesundheit und Wohlbefinden
- Neue Auswirkungen digitaler Gesundheitstools und digitaler Datenobjekte innerhalb und außerhalb des Gesundheitswesens, z. B. in Krisenzeiten
- Ein Prozessperspektive, die die Dynamik der digitalen Transformation im Gesundheitswesen erklärt
- Veränderungen von beruflichen Rollen, Identitäten und Institutionen zur Wertschöpfung im Gesundheitswesen
- Neue Designs digitaler Innovationen zur Verbesserung des Selbstmanagements chronischer Krankheiten durch Patient*innen
- Die Rolle von Daten und Tools als Hemmnisse oder Förderer eines krankheitsbasierten Gesundheitssystems
- Die Rolle von Daten und Tools wie Sensoren, Wearables und digitalen Gesundheits-Apps als Hemmnisse oder Förderer eines patientenzentrierten Gesundheitssystems
- Die Rolle digitaler Werkzeuge wie virtuellem Coaching für die Autonomie von Gesundheitsanbieter*innen und Patient*innen
- Die Rolle von Daten und Tools für Krankheitsinterventionen vs. Prävention
- Das Verhältnis zwischen klassischen Krankenhausinformationssystemen und neueren digitalen Innovationen im Gesundheitswesen
- Veränderung von Geschäftsmodellen im Kontext digitaler Innovationen im Gesundheitswesen
- Verbesserte Unterstützung von pflegebedürftigen Personen, einschließlich älterer Menschen oder Menschen mit Behinderungen, durch digitale Technologien
- Die Rolle neuer digitaler Technologien wie XR, Web3.0 und maschinelles Lernen für die Erstellung von Gesundheitsdaten und deren Wertschöpfung
- Neue Ansätze zur Erfassung von Wert aus digitalen Gesundheitsdaten, z. B. Erstattungsstrategien
- Neue ethische Herausforderungen durch Gesundheitsdaten unter Berücksichtigung von Datenschutz und Sicherheit
- Digitale Tools und die Nutzung digitaler Gesundheitsdaten zur Vernetzung verschiedener Akteure in Gesundheitsdienstnetzwerken, zur Unterstützung von Entscheidungen sowie zur Verbesserung logistischer und organisatorischer Prozesse
- Gestaltung digitaler Tools und die Rolle von IS zur Unterstützung integrierter Pflege und Planung, die mehrere Pflegeformen und/oder Schritte im Patient*ineenverlauf umfassen
- Die Rolle des digitalen Wohlbefindens und was es bedeutet, für Wohlbefinden im digitalen Zeitalter zu gestalten
Track chairs
AEs
- Rainer Alt, Universität Leipzig
- Franziska Bathelt, Technische Universität Dresden
- Paul Drews, Leuphana Universität Lüneburg
- Torsten Eymann, Universität Bayreuth
- Daniel Fürstenau, Freie Universität Berlin
- Martin Gersch, Freie Universität Berlin
- Heiko Gewald, Hochschule Neu-Ulm
- Tobias Kowatsch, Universität St. Gallen
- Peggy Richter, Technische Universität Dresden
- Hannes Schlieter, Technische Universität Dresden
- Stefanie Steinhäuser, OTH Amberg-Weiden
- Manuel Trenz, Universität Göttingen
- Polyxeni Vassilakopoulou, University of Agder
- Till Winkler, FernUniversität Hagen
- Anne-Katrin Witte, FernUni Hagen & Technische Universität zu Berlin
Literatur
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Thiebes, S., Toussaint, P. A., Ju, J., Ahn, J. H., Lyytinen, K., and Sunyaev, A. 2020. “Valuable Genomes: Taxonomy and Archetypes of Business Models in Direct-to-Consumer Genetic Testing,” Journal of Medical Internet Research (22:1). (https://doi.org/10.2196/14890).
Vassilakopoulou, P.,Skorve, E., Aanestad, M. “A Commons Perspective on Genetic Data Governance: The Case of BCA Data.” Twenty-fourth European Conference on Information Systems (ECIS) Proceedings, Istanbul, Turkey, 2016.
Wessel, L., Davidson, E. J., Barquet, A. P., Rothe, H., Peters, O., & Megges, H. (2019). Configuration in Smart Service Systems: A Practice-based Inquiry. Information Systems Journal, 29(6), 1256–1281. https://doi.org/10.1111/isj.12268
Wessel, L., Sundermeier, J., Rothe, H., Hanke, S., Baiyere, A., Rappert, F., & Gersch, M. (2023). Designing as Trading-off: A Practice-based view on Smart Service Systems. European Journal of Information Systems. https://www.researchgate.net/publication/376681860_Designing_as_trading-off_a_practice-based_view_on_smart_service_systems/related#fullTextFileContent